Familie Mayer
In der Viktoriastraße 14 lebte die jüdische Familie Mayer. Isidor Mayer wurde 1877 in Köln geboren. 1899 heiratete er dort die 1875 geborene Kölnerin Sofia Wolff. Das Ehepaar hatte zwei Töchter: Martha, geboren 1904 in Köln, und Johanna, geboren 1906 in Opladen.
1914 zog Isidor Mayer für sein Vaterland in den Ersten Weltkrieg. Er kehrte 1918 zurück. Die Familie zog 1927 nach Euskirchen, wo Isidor einen Handel mit Rohprodukten, Kurzwaren und Textilien übernahm. Diesen musste er jedoch 1933 im Zuge der Machtergreifung der NSDAP aufgeben. Er versuchte fortan den Lebensunterhalt als Handlungsreisender zu verdienen, hatte dabei als Jude aber so große Schwierigkeiten, dass er sich trotz vorgerückten Alters schließlich als Hilfsarbeiter durchzuschlagen hatte, bevor er endgültig zur Arbeitslosigkeit gezwungen war.
Am 1. April 1933 rief die neue nationalsozialistische Regierung zu einem Boykott aller jüdischen Geschäfte auf. Auch in Euskirchen formierte sich die SA zu einem Fackelzug und verklebte Schaufenster jüdischer Geschäfte und behinderte die Kunden an deren Betreten. Wer noch in jüdischen Geschäften Besorgungen erledigte, wurde solange angefeindet, bis niemand mehr dort einkaufte.
Isidor und Sofie Mayers jüngere Tochter Johanna, genannt Jenny, war herzkrank und lebte bei ihren Eltern. Sie ist das einzige bekannte Opfer der Boykottaktion jüdischer Geschäfte vom 1. April 1933. Während eines Spazierganges wurde sie von einer wilden Meute Menschen umringt, die sie beschimpften und einschüchterten. In Folge dieser Attacke verschlechterte sich ihr Zustand dramatisch. Sie bekam zusehends Angstattacken und Erstickungsanfälle, sodass sie schließlich am 12. August 1933 im Krankenhaus in Euskirchen im Alter von nur 26 Jahren starb.
Ihre augenkranke Mutter Sofia belastete der Tod ihrer Tochter merklich. Sie erblindete in den 1930er Jahren fast vollständig, was von Ärzten auf psychosomatische Ursachen zurückgeführt wurde. Tatsächlich war sie psychisch angegriffen und durchlebte 1938 mehrere Aufenthalte in Kliniken, unter anderem in der Nervenheilanstalt Bonn.
Im Dezember 1938 trat die Verordnung über den Zwangsverkauf jüdischen Besitzes in Kraft, die auch eine Aufhebung des Mieterschutzes für jüdische Mieter zur Folge hatte. Ab diesem Zeitpunkt durften jüdische Familien ihre Wohnungen und Häuser nicht mehr betreten. Sie mussten nun mit anderen jüdischen Familien in sog. Judenhäusern auf engstem Raum zusammenleben. Isidor und Sofie Mayer wohnten ab Juni 1941 im Judenhaus in der Baumstraße 7 mit anderen jüdischen Familien auf engstem Raum.
Von dort wurden Isidor und Sofia Mayer am 15. Juni 1942 über Köln in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert.
Von den zehntausenden hauptsächlich älteren Bewohnern des Ghettos überlebten nur wenige den Holocaust. Sie wurden rücksichtslos ausgebeutet und die katastrophalen Lebensbedingungen führten zu einer hohen Sterblichkeitsrate, während es der Nazi-Propaganda bis zuletzt gelang, Theresienstadt als lebenswerte jüdische Stadt darzustellen. Insgesamt durchliefen etwa 140.000 Menschen das Ghetto, aus dem bei Kriegsende lediglich 19.000 Menschen befreit wurden.
Im Juni 1943 starb Isidor Mayer an den Strapazen des Ghettos Theresienstadt. Seine Frau Sofie wurde daraufhin in ein sog. Blindenheim umquartiert, wo sie ein Jahr später, am 28.05.1944, an körperlicher Erschöpfung durch Hunger starb.
Die ältere Tochter des Ehepaares Mayer, Martha, wohnte seit 1922 im Saarland. Sie heiratete 1934 in Saarbrücken ihren seit Kindestagen blinden Jugendfreund, den Juristen Dr. Ernst Blum.
Nachdem das Saarland im Jahr 1935 wieder in das Deutsche Reich eingegliedert worden war, gelang es ihnen Anfang 1936 nach Frankreich zu emigrieren. Ihre Bemühungen, auch für Marthas Eltern in Euskirchen eine Ausreiseerlaubnis zu erwirken, scheiterten jedoch. Dafür herrschte ein reger Briefwechsel zwischen Isidor und seiner Tochter Martha, welcher heute noch erhalten ist und ca. 120 Briefe und Postkarten umfasst.
Vier Jahre lebten Martha und Ernst Blum in Thionville im Elsass bis der Kriegsausbruch in Frankreich im Jahr 1940 sie erneut zur Flucht zwang.
Sie flüchteten in die Unbesetzte Zone des Vichy-Regimes und lebten zeitweise in Nizza. Dort entgingen sie durch glückliche Zufälle der Verhaftung, mussten aber im letzten Jahr vor der Befreiung Frankreichs versteckt im Gebirge leben.
1945 kehrte das Ehepaar nach Deutschland zurück. Martha wurde Mitarbeiterin ihres Mannes bei der Verwaltungskommission und später im Sozialministerium des Saarlandes. Sie betätigte sich über die nächsten Jahrzehnte bis zum Ende ihres Lebens vielfältig im jüdischen Leben des Saarlandes und war von 1981 bis 1988 Vorsitzende des Vorstandes der Synagogengemeinde Saar. Nach dem Tod ihres Mannes führte sie außerdem dessen Arbeit im Hilfswerk Hilfe für Blinde in Israel fort. 1985 wurde ihr der Saarländische Verdienstorden verliehen. Martha Blum, geborene Mayer, verstarb am 24. Februar 1990.
Weiterführende Literatur:
Arntz, Hans-Dieter: Isidors Briefe, Über die Korrespondenz eines Juden aus Euskirchen, Aachen 2009.