Sankt Brictius
Die früheste Erwähnung des Ortes findet sich in einer Urkunde des Kölner Erzbischofs Hermann für St. Ursula in Köln aus dem Jahre 922. Da er den Grundstock der im Besitz der Benediktinerabtei Siegburg befindlichen Herrschaft Euenheim-Wisskirchen bildete, wird "Uenheim" 1064 auch in der Stiftungsurkunde dieser Abtei genannt. Die Kirche wird erst 1159 ausdrücklich erwähnt, als dem Kölner Ursulastift gewisse Gefälle in Euenheim bestätigt wurden. Doch kann unter anderem wegen des Patroziniums auf einen sehr viel früheren Bau geschlossen werden. Im Jahre 1752, in dem auch das Patronatsrecht in der Euenheimer Kirche für das Kölner Ursulastift bezeugt ist, erwarb Freiherr Johann Wilhelm von Lüning von Abt Johann Christoph von Hagen die abteiliche Unterherrlichkeit Euskirchen-Wisskirchen im Tausch gegen andere Güter. Später gelangte sie an die Pfeil von Scharpfenstein und 1778 an den Freiherrn von Zümpütz. 1806 wurde die Pfarrei Euenheim unterdrückt, zuerst Euskirchen, dann Wißkirchen zugewiesen. Erst am 1. Juli 1864 wurde sie durch Pfarrerhebung wieder selbständig. Die alte einschiffige Kirche, die auf dem Kirchhof am Veybach lag und 1711 datiert wird, hatte ganz sicher einen Vorgängerbau. Jedenfalls war der bescheidene Bau, der von Grund- und Hochwasser gefährdet war, zu klein geworden und hatte keine Sakristei, denn Kirchengeräte wurden "in fünf Minuten Entfernung von der Kirche" verwahrt. 1869 fasste der Kirchenvorstand den Beschluss zum Neubau und vergab die Planung an August Carl Lange (1834 - 1883), der ein über das Rheinland hinaus bekannter Kölner Architekt der Gründerzeit war. Er hat sich mit vielen neugotischen Bauten wie den Kirchen in Reifferscheid und Flamersheim, dem Schloss Paffendorf und der Wiederherstellung des Kölner Rathausturms einen Namen gemacht. Die Euenheimer Kirche wurde 1875 bis 1876, also während des Weiterbaus des Kölner Domes (vollendet 1880) und der damit verbundenen Gotikbegeisterung, errichtet. Die Weihe fand jedoch erst - nach dem so genannten Kulturkampf - am 4. Juni 1891 statt.
Der Bau:
Die ehemals völlig frei stehende Kirche ist eine dreischiffige Hallenarchitektur mit beeindruckender Fassadenlösung. Bereits im Äußeren ist die Dreischiffigkeit erkennbar, das Bauvolumen ist gelungen gegliedert, Turm und Vertikaltendenz werden deutlich betont. Trotz erheblicher Wandflächen vermittelt sich eine plastische Durchgestaltung der Westseite. Typisch für den historisierenden Stil ist die Verbindung von Ziegelmauerwerk in den Flächen und Haustein an Basen, Kapitellen, Bögen, Gurten, Konsolen und im Fenstermaßwerk. Das Innere mit seinen weiten Durchblicken ist geprägt durch die angeglichenen Höhen von Seiten- und Mittelschiff. Die ausgewogene Stellung der Säulen mit ihren Kapitellen in einer Arkadenreihe, die Scheidbögen zwischen den Schiffen, die Abfolge der Maßwerkfenster und der Querbögen in den Seitenschiffen sowie die Kreuzrippengewölbe gliedern das Langhaus sehr rhythmisch und folgen allgemein gotischen Vorbildern. Sehr eigenwillig und überlegt ist die Grundrisslösung im Chorbereich. Die Seitenschiffe münden jeweils in Kapellen, die um 45° nach Süden bzw. Norden abgeschwenkt sind und dadurch - im Äußeren noch mehr als im Inneren - den Eindruck eines Querschiffs erwecken. Im Winkel zwischen Hauptchor und diesen Kapellen liegen im Süden die Sakristei, im Norden der Paramentenraum. Ein großes Dach fasst alle Schiffe zusammen, doch werden diese beiden Nebenräume, die Kapellen und die Räume hinter den Seiteneingängen durch besondere Dachformen als eigene Räume akzentuiert. Diese Kirche ist ein Beispiel dafür, wie trotz bescheidener Mittel eine eigene gelungene Bauform gefunden wurde.
Die Ausstattung:
Im Jahre 1880 erhielt der Architekt August C. Lange auch den Auftrag zum Entwurf von Hochaltar, Nebenaltären, Kanzel und Kommunionbank. Er sah in der Kanzel das Symbol des Glaubens, im Marienaltar das der Hoffnung und im Hochaltar das der Liebe. Dieser von dem Kölner Bildhauer Mörs angefertigte und im Dezember 1883 vom Kirchenvorstand als Geschenk angenommene neugotische Hauptaltar ist mit seinem Skulpturensschmuck (z. B. die Emmaus-Szene links), den seitlich angebrachten, farbig reich gefassten Statuen, mit dem Goldglanz, den gotischen Gliederungselementen und den Inschriften ein besonders interessantes Werk seiner Zeit. In der Weiheurkunde von 1891 werden als Reliquienbesitz solche des Hl. Evergislus, gegen Ende des 6. Jahrhunderts Erzbischof von Köln, und von Gefährtinnen der Hl. Ursula genannt. Die Reliquien der Jungfrauenmärtyrerinnen wurden vermutlich über das erwähnte Besitz- und Patronatsrecht des Ursulastiftes nach Euenheim gegeben. Die hier verwahrte Hinterhauptreliquie des Kirchen- und Pfarrpatrons, des Hl. Brictius, kam erst im Jahre 1896 nach Euenheim. Brictius folgte dem Hl. Martin als Bischof von Tours (401-443) nach, seine Gebeine werden heute in San Michele zu Pavia verehrt. Das Haupt wird seit 1827 in Oekoven bei Rommerskirchen bewahrt, von wo ein Teil des Hinterhauptes nach Euenheim abgegeben wurde. Hier wird sie in einem Kopfreliquiar gefasst und beschriftet verwahrt. Aber schon viel früher - spätestens seit der ersten Nennung des Patroziniums im 12. Jahrhundert - wird eine Reliquie des Heiligen in Euenheim gewesen sein und der Pfarrei den Namen gegeben haben. Da der Brictius-Kult in der Folge des Martins-Kultes schon früh verbreitet wurde, darf damit auf ein wesentlich höheres Alter von Kirchengemeinde und Erstkirche geschlossen werden. Sehens- und hörenswert ist auch die Orgel des Kuchenheimer Orgelbauers Franz Josef Schorn (1834-1905), die nach 1895 datiert wird und damit zu den letzten seiner Werke gehört. Ihr neugotischer Aufbau mit Maßwerk und Gesprenge korrespondiert mit der schlichten Orgelempore.
Fast eine Generation lang bemühte sich die Kirchengemeinde um einen würdigen Kirchenraum, um seine stilvolle Ausstattung und um eine bedeutende Reliquie. So sind Bau und Ausstattung der Kirche St. Brictius in seltener Einheitlichkeit des Stils der siebziger und achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts ausgeführt und erhalten worden. Zum Besitz der Kirche zählen neben liturgischem Gerät des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts auch ein Rokoko-Kelch sowie zahlreiche Skulpturen unterschiedlicher Qualität auf Hausteinsockeln an den Wänden. Sie waren gerade im ländlichen Raum verehrte Fürbitter für die Alltagssorgen der Menschen.
Eine bedeutende künstlerische Bereicherung erfuhr die Kirche in jüngster Zeit mit der Gestaltung der drei farbigen Chorfenster durch den Bonner Künstler Egbert Verbeek (geb. 1953). In deutlicher Figürlichkeit und Lesbarkeit gehalten, werden die drei den Chorraum beherrschenden Fenster unter einem Thema zusammengefasst. Das uralte, auch christliche Zeichen des Labyrinths - Verirrung und Orientierung - wird einerseits als Ort der Bedrängnis des Menschen, andererseits auch als vom paradiesischen Wasser durchflossener Heilsort gezeigt. Das beherrschende Kreuz in der Mitte ist inhaltliches wie formales Zentrum der außergewöhnlichen Komposition, die sich auch in ihrer Farbigkeit in das historische Ambiente gut einfügt.