Euskirchen, St. Matthias

Euskirchen

Sankt Matthias

Seit 1910 strebte man in der Stadt Euskirchen nach einem Kirchenneubau in der sich entwickelnden Südstadt. Im Städtebebauungsplan hatte man für diese Kirche schon das Grundstück Ecke Münstereifeler Str. / Eifelring vorgesehen. Da jedoch gerade die Herz - Jesu - Kirche erbaut worden war, war eine weitere Kirche für die Kirchengemeinde nicht finanzierbar. So suchte man eine andere Trägerschaft und bemühte sich eine Ordensgemeinschaft ( bevorzugt ein Männerorden ) zu finden, die in Euskirchen eine Niederlassung gründen sollte. Nach zähen Verhandlungen zwischen der Bezirksregierung in Köln und der Ordensprovinz der Franziskaner mieteten am 3. Mai 1916 einige Franziskaner ein Doppelhaus in der Münstereifeler Str. 85 - 87. Die politische Situation der Kriegsjahre und der Weimarer Republik machten den Neubau der Kirche in der Südstadt  jedoch unmöglich. Erst Anfang 1924 entschloss sich die Ordensprovinz für die Errichtung eines Klosterneubaus mit einer schlichten Kirche. Der Architekt des funktionalen Baus mit einem bloßen Dachreiter als Glockenturm war der  Stadtbaumeister Leven. Am 26. August 1926 konnte das Kloster an dem Standort bezogen werden, an der eine Kirche schon im gründerzeitlichen Bauprogramm vorgesehen war. Von 1941 bis 1959 hatte die Klosterkirche den Status eines von Herz-Jesu abhängigen Pfarr-Rektorats und wurde dann im April 1960 zur selbständigen Kirchengemeinde St. Matthias erhoben. In der aufstrebenden Südstadt wurde die Klosterkirche trotz mehrerer Umbauten und Erweiterungen schon bald zu klein. Die Kirchengemeinde stand nun vor der Alternative, die bestehende Klosterkirche mit ca. 180 Sitzplätzen zu erweitern oder aber eine neue Gemeindekirche zu errichten. Am 2. Februar 1961 sprach sich der Kirchenvorstand für die Planung einer Gemeindekirche  auf dem neuerworbenen Dreiecksgrundstück, städtebaulich reizvoll zwischen Beethoven- (heute Asselborn-), Selbach- und Gottfried - Disse - Straße gelegen, aus. Die Sitzplatzwahl wurde in Kenntnis der statistischen Entwicklung auf 350 festgelegt. Mit dem Bau beauftragte der Kirchenvorstand den Bonner Architekten Dr. Emil Steffann (1889-1968) und seine Mitarbeiter Gisbert Hülsmann und Heinz Bienefeld. Steffann war einer der profiliertesten, überregional bekannte damaligen Kirchenbaumeistern, der sich besonders mit dem Wiederaufbau des zerstörten Franziskanerklosters in Köln (1952), der sogenannten "Kirchen aus den Trümmern" einen Namen gemacht hatte. Seitdem genoss er sicherlich in der rheinischen Ordensprovinz der Franziskaner hohes Ansehen und schien auch für den Bau einer Gemeindekirche unter franziskanischer Betreuung prädestiniert.

Der gesamte Baukomplex sollte aus der Gemeindekirche, dem Pfarrkindergarten, dem Gemeindetrakt, aus Bücherei, Pfarrsaal und Jugendheim/ Forum bestehen.

Nach dem ersten Entwurf von 1962 wäre St. Matthias  ein Stil- und Epochenmix aus antiken, frühmittelalterlichen und gotisierenden Formen geworden - mit zwei Höfen und einer Kirche mit einem überdimensionalen Turm von nicht weniger als 60 Metern Höhe. Das Kirchenhaus hätte ein Satteldach erhalten, während der spitze Turm ähnlich dem von St. Martin aus dem Stadtgefüge Euskirchens herausgeragt hätte. Emil Steffanns erster Entwurf wurde vom Kölner Generalvikariat verworfen, weil man ein geringeres Bauvolumen wünschte. Daraufhin konzipierte Steffann den Kirchenbau neu. Auch jetzt liebäugelte man innerhalb der Kirchengemeinde noch mit einem kräftigen Glockenturm. Ein intimer Gartenhof mit Taufkapelle war vorgesehen. Auch den zweiten Entwurf lehnte man ab, da er nicht in die Umgebung passe. Ende 1963 wurde durch die zwischenzeitliche Umstrukturierung des Ordens eine völlige Neukonzeption notwendig: Die Planung der Pfarrkirche St. Matthias mit Franziskanerkloster. Denn die Ordensprovinz hatte sich 1963 entschlossen das schon früher von Euskirchen nach Exaten (NL) verlegte Internat und Kloster aufzugeben und in Vossenack ein neues Kloster und Internat zu bauen. Dadurch erübrigte sich das große Kloster in Euskirchen an der Münstereifeler Straße. Das Bauprogramm sollte nun die enge Verbindung zwischen Kirche und Klosterpfarrhaus demonstrieren.  


Der dritte Vorentwurf wurde im Sommer 1965 durch das Kölner Generalvikariat genehmigt. Er gliedert den blockartigen Bau mit seiner achsialen Geschlossenheit von Kirche und Kloster in mehrere dezentrale Baukörper auf. Sie haben unterschiedliche Proportionen und sind leicht zueinander versetzt bis hin zu winklig angesetzten Gebäudeteilen. Ein niedriger Turm mit Satteldach wird nun in diesem Plan als Solitär an der Straßenseite (Selbachstraße) geplant. Zu seinem Bau kam es jedoch nie. Küsterhaus und Forum befinden sich an der heutigen Stelle. Durch eine Pergola sollte das Forum mit der Kirche verbunden werden und dort ein Eingang geschaffen werden. Doch zur Ausführung dieser Planung kam es nicht, erst in jüngster Zeit überdachte man einen größeren Teil des Platzes vor dem Jugendheim / Forum. Ende Juli 1964 stand die bauliche Grundkonzeption. Die architektonische, finanzielle und baurechtliche Umsetzung nahm ein weiteres Jahr in Anspruch. Am 13.2.1966 feierte man die Grundsteinlegung, die Urkunde hierfür gestaltete der Euskirchener Künstler Konrad Schaefer; Nach nur 19 Monaten Bauzeit segnete man im März 1967 die Kirche ein, am 3. Dezember konnte dann die Kirchenweihe stattfinden und der nun fertige Altar  mit Reliqiuen des hl. Gereon und der hl. Ursula geweiht werden. 

Die von Steffann geschaffenen Bauten sind spätantiken und mittelalterlichen Stilmerkmalen verpflichtet,  sie sind materialbewusst und kunsthandwerklich ausgeführt mit aufwendigem Bruchsteinmauerwerk und Schmiederarbeiten, mit gezielter Lichtführung und Farbgebung. In Formensprache und Baugesinnung wollte der Architekt Räume für eine kontemplative Religiösität wie für eine zeitgemäße Liturgie schaffen. St. Matthias ist ein spätes Werk des Architekten, bei dem ein auch für Steffanns Verhältnisse ungewöhnlicher Minimalismus vorherrscht. Die Nüchternheit der Kirche löste anfänglich in Euskirchen kontroverse Diskussionen aus.

Außen
Die unverputzte Saalkirche ist aus  Eifeler Grauwacke. Bei der letzten Renovierung wurden die Fugen außen sogar noch zurückgelegt, um dem Mauerwerk eine plastischere Gestalt zu geben. Die Umrisse der Kirche betragen 18 x 28 Meter. Eine kleine Glocke befindet sich an der Nordostwand. Das Giebelkreuz im Westen wurde von Jochen Pechau gestaltet. Der Stein stammt aus Weibern (Kreis Mayen). Als Motiv in der Kreuzmitte wählte Pechau nicht den Korpus Christi, sondern den ungeteilten Rock Christi, der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil zum Symbol für die Einheit der Christenheit geworden ist. Durch die Darstellung des Rockes wird der Bezug von St. Matthias zum Heiligen Rock und zur Benediktinerabtei St- Matthias in Trier hergestellt, wo das Grab des Heiligen gehütet wird. Jährlich um die Pfingstzeitwallfahrten pilgern Gläubige der St. Matthias - Pfarrei und der Bruderschaft zum Grabe ihres Pfarrpatrons nach Trier.


Innen
Auch von Innen ist das Bruchsteinmauerwerk unverputzt. Der Saalbau hat ein Fassungsvermögen von 350 Sitzplätzen. Die Decke ist als freiliegende Holzkonstruktion gestaltet. Als einziges Zugeständnis an Gewohntes ließen die Architekten einen hellen Anstrich der Bretter zu.
Die natürliche Beleuchtung erfolgt durch zwei größere längsrechteckige Fenster in der Westwand (durch Orgel verdeckt) sowie in der Nord- und Südwand. Im Osten, weit oben unter dem Giebel, befindet sich weiteres schmales Fenster. Alle Fenster liegen verhältnismäßig hoch und trotz geringer Größe geben sie doch durch ihre Schlichtheit dem Innenraum genügend Licht. Darüber hinaus erhellt elektrische Beleuchtung, an schlichten U-Trägern befestigt, sowie 12 Wandleuchten, die sogenannten Apostelleuchten, den Raum.

An der Westwand liegt der Eingang zur Kirche, den man durch einen Vorraum betritt. Die zwei dicht nebeneinander liegende Eingangstüren sind mit Kupfer beschlagen. Die Wand über den Türen ist innen durch einen Rundbogen gegliedert. An der Westwand befindet sich auch die Orgelempore aus massivem Eichenholz, die sich asymetrisch an die Wand anfügt und von vier Stützen getragen wird. Erst 1987 wurde eine Orgel von der Fa. Romanus Seifert & Sohn in Kevelaer eingebaut, eine Pfeifenorgel mit 25 Registern und 1604 Pfeifen. Der frühere Domorganist Prof. Josef Zimmermann bezeichnet sie als ein nicht alltägliches Instrument, das in der Konsequenz aller klanglichen und technischer Fakten für die Orgellandschaft in der Diözese bedeutsam ist.
An der Nord- und Südseite befinden sich je zwei Beichtstühle. 
In der Nord-Westecke liegt eine kleine tiefer gesetzte Kapelle, die den Eindruck einer frühchristlichen Katakombe erweckt. Sie diente lange als Taufkapelle. Da sie aber später als zu klein betrachtet wurde, versetzte man das Taufbecken in den Mittelgang der Saalkirche. In einer flachbogigen Nische befindet sich seit dem Ende der 1980er Jahre in einer Wandkonsole eine von rankenden Rosen umgebene Pietà. Sie stammt aus dem 18. Jahrhundert ( Holz, farbig gefasst, Höhe ca. 60cm, Breite ca. 25 cm) und ist eine Stiftung einer Euskirchener Bürgerin. Das Rosengeflecht wurde in den Kunstwerkstätten Maria Laach gefertigt und dient auch zur Sicherung des Kunstwerks. Davor befindet sich ein Steinblock mit einer Vorrichtung für Gedenkkerzen. Vorher hing an gleicher Stelle eine Kopie des Gnadenbildes der Trierer St. Matthias-Abtei "der Thron der Weisheit":
An den Altarraum schließt sich zur Südseite hin ein Andachtsraum an, der mit der Kirche durch einen Rundbogen verbunden ist. Von diesem Nebenraum ist ein kleiner, nur von außen zugänglicher Raum, die Ikonenkapelle, abgetrennt.


Ausstattung
Der Altarraum mit der Kanzel und der Sakramentssäule ist um eine Steinstufe erhöht und nimmt ein Drittel des Kirchenraums ein. Im Altarraum ist das Chorgestühl für die Mitglieder des Franziskanerkonvents untergebracht.  Vier Steinsäulen tragen die große Mensaplatte des Altars. Links daneben, freistehend, die nur ein wenig erhöhte Kanzel. Alle Arbeiten sind in hellem Stein gefertigt. Altar, Tabernakelhaus und Kanzel wurden vom Architektenteam um Emil Steffann geplant. Die Erkenntnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils wurden berücksichtigt: Der wuchtige Altar, den Gläubigen zugewandt, fordert ganze Aufmerksamkeit und Andacht. Die Kanzel übertrifft an Eigenwilligkeit alles Bisherige. Als Stätte der Verkündigung des Wortes Gottes in Altarnähe versinnbildlicht die Kanzel die angestrebte Trennung zwischen dem Wortgottesdienst und der liturgischen Messfeier. Trotz der Größe der Kanzel ist der Altar dennoch Mittelpunkt. Der Hostienschrein in der Sakramentssäule, das eiserne Geländer an der Kanzel, das sie zum Kirchenraum schließt, und das in der Mitte des Altarraumes schwebende Metallkreuz aus Eisenguss mit fast lebensgroßem Corpus stammen von dem Kölner Bildhauer Jochen Pechau. Er erhielt den Auftrag auf Empfehlung Steffanns und schuf auch den Kreuzweg als eine Reliefplastik in Eisen. In den kleinen Bildwerken des Kreuzwegs ist der Leidensweg Christi erzählerisch dargestellt mit sparsam gesetzten kleinen Figürchen, die im Detail durchgebildet sind.  Zwei überlebensgroße Holzskulpturen des hl. Antonius und des hl. Franziskus stehen hinten unter der hölzernen Orgelempore. Der westfälische Künstler Thomas Jessen schuf im Jahr 2005 den Osterleuchter im Mittelgang aus den Reststeinen, die vom Bau der Kirche noch im Garten gelagert waren. Vor- und Rückseite schmücken zwei Bildszenen: Die Höllenfahrt Christi (Anastasis) und die Marienszene am leeren Grab.

Bildunterschrift: Christus zerbricht die Pforten der Hölle und rettet Adam und Eva aus ihr als Symbol für die Erlösung der gesamten Menschheit.